Entstehung neuer städtischer Wohngebiete in der Altstadt, auf dem Burgerfeld, an der Wuhr und in der Tegernau
Fragen zur Stadtplanung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1945 wurden erstmals erforscht
War bereits vor dem Ersten Weltkrieg in vielen bayerischen Städten der Wohnraum knapp, verschärfte sich die Situation mit dem Ende des Krieges noch weiter. Neben zwangswirtschaftlichen Maßnahmen, die den bestehenden Wohnraum betrafen - gemeint sind Instrumente wie Wohnraumbewirtschaftung und Mietenkontrolle - setzte die Politik auf die Förderung des Wohnungsbaus. Auch die Stadt Wasserburg bemühte sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg um die Beseitigung des Wohnraummangels.
Wie angespannt die Lage in Wasserburg nach 1918 war lässt sich durch die Akten der Wohnungskommission versinnbildlichen. Gemäß Stadtratsbeschluss vom 18. März 1922 war sie eingesetzt worden und - entsprechend den bestehenden Vorschriften zur Bekämpfung der Wohnungsnot - einem gemeindlichen Wohnungsamt gleichzusetzen. Wohnungsgesuche oder Wohnungstausch wurden fortan von dieser Kommission geregelt. In einem Schreiben vom Januar 1922 beziffert der Stadtrat die Zahl der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Wohnungsvormerkungen auf 87. An anderer Stelle wird darauf verwiesen, dass die Wartezeit für Wohnraum gewöhnlich zwischen eineinhalb und zwei Jahren liege.
Zunächst versuchte man durch den geförderten Einbau von Wohnungen in bereits bestehende Gebäude Abhilfe zu schaffen. Bereits im Januar 1919 bemühte sich der Stadtrat ein geeignetes Siedlungsgebiet im Stadtbereich zu finden. Ein entsprechender Plan sollte dem Stadtrat vom Stadtbauamt bis Ende Februar vorgelegt werden. Überliefert ist im Akt zum Städtischen Siedlungswesen des Stadtarchivs Wasserburg ein Plan, in dem die gemeindlichen Grundstücke und die Grundstücke, die sich in der Hand der städtischen Stiftungen befanden, markiert sind. Der Besitz der Stiftungen erstreckte sich demnach vornehmlich auf das Burgerfeld und entlang der Wuhr. Gemeindliche Grundstücke befanden sich in der Innschleife und um das Bahnhofsareal. Entsprechend richtete sich das Hauptaugenmerk der Bautätigkeit auf das Burgerfeld. Auch da durch die Besitzungen hier der größtmögliche freie Gestaltungsrahmen zur Verfügung stand. Spätestens 1920 wurden die Münchener Architekten Otho Orlando Kurz und Eduard Herbert mit der Erstellung eines Siedlungs- und Bebauungsplans beauftragt. Sie legten im Februar 1921 in einem kurzen Exposé allgemeine Gesichtspunkte zu ihrer Planung und schließlich einen ausgearbeiteten Plan vor.
Sind die Erläuterungen zum Bebauungsplan noch überliefert, fehlen bis dato die ausgearbeiteten Pläne und Zeichungen mit einer Ausnahme - unserer erst kürzlich in einem Planerschließungsprojekt aufgefundenen Archivalie des Monats. Der Stadtrat hatte die Größe der Wohneinheiten und Grundstücke vorgegeben; das Verhältnis 1:2 bebaute und unbebaute Fläche sollte eingehalten werden. Um einen einheitlichen Plan umsetzen zu können, bemühte sich der Stadtrat um den Ankauf der Grundstücke im Planungsgebiet. Zudem sollte eine Verlegung des Stadtbahnhofes ins Burgerfeld weiterhin möglich bleiben.
Kurz und Herbert planten eine Siedlung im unteren Bereich des Burgerfelds, von der Rosenheimer Straße, dem Klosterweg und der Ponschabaustraße begrenzt. Als eine Art Eingang zur Siedlung planten die Architekten zwischen Finanzamt und alten Anwesen oberhalb einen freien Platz. Für einen späteren Zeitpunkt waren hier öffentliche Gebäude vorgesehen. Eine Hauptallee sollte, der Bewegung des Geländes folgend, in einem Bogen wieder auf die Rosenheimer Straße führen. An zwei inneren Straßen bildeten Reihenhäuser das städtebauliche Motiv, an den Querstraßen mit stärkeren Gefälle sollten Doppelwohnhäuser entstehen. Für den Höhenabschluss sahen die Architekten größere Privatvillen mit entsprechend größer bemessenen Grundstücken vor, welche später verwirklicht werden sollten.
Insgesamt planten die Architekten eine über diesen ersten Planungsabschnitt hinausgehende Siedlung mit insgesamt 410 Wohnungen. Geleitet vom Grundgedanken der Vereinfachung und Vereinheitlichung sollten beispielsweise die Straßen gerade ausreichend breit, teilweise ohne Fußweg entstehen; anstelle von Vorgärten wurden schmale, funktionale Rasenflächen vorgeschlagen. Ebenfalls einfach gehalten stellten sich Kurz und Herbert die Gestaltung der Häuser vor: rau verputzte, glatte Fassaden, abwechselnd farbig gestaltet und als Wasserburger Charakter bezeichnet mit einem flachen Dach.
Was aus diesem Bebauungsplan wurde und wie die Bebauung des Burgerfeldes bis 1925 tatsächlich verlief, können Sie im neuen ’Historischen Lexikon Wasserburg’ nachlesen.
Die Historikerin Angelika Oettl geht in ihrem Beitrag den Fragen nach, wie sich ’Wildes’ Siedeln und informelles Wachstum außerhalb der Kernstadt vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1918 bemerkbar machten und wie die planmäßige Erschließung der Stadt ab 1918 bis zum Kriegseintritt 1939 gestaltet wurde.
Das Gemeinschaftsprojekt ’Historisches Lexikon Wasserburg’ wird der interessierten Öffentlichkeit am 18. März offiziell beim Heimatverein vorgestellt.