Das bei uch ettlich personen dem newen glauben anhenngig sein sollen
Landesherrliche Eingriffe in die Wasserburger Ratswahlen des 16. Jahrhunderts
Die Stadt Wasserburg bekam 1507 eine neue Ratswahlordnung. Das Grundprinzip der Wahlordnung lautete wie folgt: Der Innere und der Äußere Rat bestimmten jeweils eine Person aus den Reihen des jeweils anderen Gremiums, beide zusammen schließlich noch einen Vertreter der gemein, also der Stadtgemeinde. Diese drei Wahlmänner bestimmten den neuen Inneren Rat, der neue Innere Rat daraufhin den neuen Äußeren Rat.
Ein entscheidendes Element allerdings war die starke Position des Landesherrn in dieser Ordnung: Er hatte nämlich nicht nur Bestätigungs- und damit Eingriffsrecht in die Wahl des Inneren Rates, wovon die bayerischen Herzöge in Wasserburg regelmäßig Gebrauch machten. Nach Abschluss und Bestätigung der Wahlen wurden außerdem die neuen Vertreter auf den Herzog vereidigt. Bei der jährlichen Rechnungslegung der Stadt und der Kirche war der Pfleger als landesherrlicher Vertreter anwesend. Und schließlich behielt sich der Herzog noch vor, die Ordnung nach gestallt der leuff zu änndern, zu mern und zu pessern.
Regelmäßig machten die Herzöge im 16. Jahrhundert von ihrem Veränderungsrecht bei der Bestätigung des Inneren Rates Gebrauch. Im Stadtarchiv sind eine ganze Reihe solcher Ratswahlveränderungen mit beigefügten zetl erhalten, auf denen die herzoglichen Räte die zu ersetzenden Personen, häufig auch gleich die neuen Kandidaten notierten. Von 1535 bis 1549 enthält jede der überlieferten Bestätigungen eine Veränderung gegenüber der Wahlmitteilung. Danach sind die entsprechenden Akten nicht mehr überliefert, Eingriffe dürfte es weiterhin gegeben haben. Die entsprechenden Schreiben lauten meist ziemlich formelhaft gleich. Das in der Abbildung gezeigte von 1540 so:
Von gottes gnaden, Wilhelm und Ludwig, gebrüder, pfaltzgrafen bey Rein, hertzogen in Obern- und Nidern-Bayern etc.
Unnsern grus zuvor. Lieben, getreuen. Wir haben ein schreiben, unns itz gethan, mit zueschickung ewr waal ains innern rats unnser stat Wasserburg gegenwürtigs jars, nach lautt gegebner ordnung beschehen, innhallts vernomen, der namen wir uch hieinn verslossen wider zueschicken, doch mit verännderung dreier personen, wie ir ab der zal sehen werdet. Unnd bestätten darauff sollich waal incrafft diß briefs, der geben unnd mit unnserm secrete gesecretiert ist, in unnser stat München, den xvii. januarij anno etc. xl.o
Eine Begründung für die Ratswahlveränderungen ist eher die Ausnahme als die Regel. Ein Jahr vor dem angeführten Beispiel, bei ihrer am 3. Januar 1539 erfolgten Bestätigung der Wahl des just vergangenen Jahres, waren die Herzöge jedoch ziemlich explizit: Dieweil unns anlanngt, heißt es da, das bei uch ettlich personen dem newen glauben anhenngig sein sollen, seien wir als lanndsfürsten geursacht, bey uch unnd andern steten und flecken […] in unnserm lannde fursehung zuthun, damit nicht nur die kaiserlich königlichen Erlasse beachtet, sondern auch unnser hiervor derhalben außganngen gepoten unnd mandaten gemäß gehanndthabt; vor allem aber khainswegs gestatt werde, sollichen neuen glauben oder secten einreisen zelassen. Also wurde es nichts mit der Bestätigung. Stattdessen seien an den erwölten personen ännderung furgenommen unnd an der außgethanen stat annder personen verordnet worden, wie ir hieneben verzaichent sehen werdet. Ersetzt wurden:
Jacob Fröschel →Ruprecht Kulbinger
Wolfgang Wider →Hanns Esterman
Annder Furtter→Ruprecht Heller
Hanns Mayr→Hanns Kienperger
Die Ratswahlveränderung allerdings zogoffenbar noch weitere Kreise. Denn am 5. Mai beschwerten sich die Herzöge, der ihnen in der Ratswahlordnung zustehende Eidschwur sei ihnen bzw. ihrem Vertreter noch immer nicht geleistet worden: Weyl wir dann bericht, das durch euch die ratspflicht zuvergangen weinechten vor gewesen phleger nit beschehen, ist demnach unser maynung, das ir an unnser stat ime schwörn und phlicht thun wellet, wie hievor und bishero alltem geprauch und der pillichait nach beschehen ist, im in seinen gepoten und geschäfften […] yeder zeit gehorsam ze laissten.
Anderthalb Monate später fordert Herzog Wilhelm von seinen lieben getreun in Wasserburg, das ir Rueprechtn Heller zu seinem vorgehebten ratsitz bey euch zu Wasserburg wiederumbn wie hievor khomen lasset.
Natürlich handelte der Rat, wie auch im Falle Ruprecht Hellers, immer wieder widerständig, meist aber wohl nicht offensiv, sondern durch Aussitzen. 1565 beschwerte sich Herzog Albrecht V., dass die Wasserburger sein Bestätigungsrecht schlicht missachteten: Dieweil wir dann für nottwendig achten, solliche erfarung von dem für Wasserburg erwellten innern rath auch ze haben, so bevelhen wir euch, das ir in maß und form wie solliches unnser instruction mitbringt, ze stundean erfarung eingleihet unnd uns darauf euren bericht unverzüglich zuekommen lasset. Da auch ainer oder mer religion halben verdacht unnd im rath deßhalben nit zugedulden were, sollet ir unns, wer an derselben stat zufurdern sein mechte eur underthenig guttachten neben obermeltem bericht zueschreiben, dann handlet ir unnserm gefelligen willen und mainung. Ganz deutlich wird hier noch einmal, wo für den Herzog der zentrale Sinn der Kontrolle über die Ratswahl lag: keine der religion halben Verdächtigen in den Rat kommen zu lassen.1
Prof. Dr. Hiram Kümper
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1Gekürzter Text aus: Hiram Kümper: Zwischen Landesherren und Laienkelch. Evangelische Bewegung und Gegenreformation in Wasserburg am Inn, 2017 (Sonderband der Schriftenreihe Heimat am Inn, Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur des Wasserburger Landes. Herausgeber: Heimatverein (Historischer Verein) e.V. für Wasserburg am Inn und Umgebung in Verbindung mit der Stadt Wasserburg am Inn und der Evang.-Luth. Kirchengemeinde Wasserburg am Inn), 74-79.
Neue Veröffentlichung zur Wasserburger Konfessionsgeschichte des 16. Jahrhunderts Von Wittenberg und Zürich aus hat sich die evangelische Bewegung im alten Bayern rasant verbreitet. Die Herzöge zeigten sich demgegenüber zunächst abwartend, schlugen nach Bann und Ächtung Luthers aber bald einen deutlich gegenreformatorischen Kurs ein, sahen sie darin doch nicht nur eine Verpflichtung der alten Kirche gegenüber, sondern auch eine Möglichkeit, den herrschaftlichen Zugriff auf ihr Territorium zu verdichten. |